Das Tagebuch: Kapitel 1.2 – Das Haus
21. April (Abends)
Ich saß erst mal eine Weile im Auto, direkt vor dem Tor. Hab ein Brötchen gegessen, das ich mir an der Tankstelle mitgenommen hatte. Trocken. Geschmacklos. Aber irgendwie notwendig. Ich hatte Hunger, obwohl mir der Magen vor Nervosität fast brannte.
Ich habe es hinausgezögert. Das Aussteigen. Das Eintreten.
Ich wusste, sobald ich durch dieses Tor gehe, gibt es kein Zurück mehr.
Und doch – irgendwann habe ich die Tür geöffnet.
Zuerst bin ich ums Haus gegangen. Ich wollte… ich weiß nicht. Kontrolle? Einen Eindruck? Vielleicht nur Zeit schinden.
Hinter dem Haus liegt ein kleiner Teich, fast zugewachsen, das Wasser trüb, aber nicht abgestanden. Daneben eine alte Holzschaukel, schief, das Seil verwittert. Ich habe sie nicht berührt, trotzdem bewegte sie sich leicht. Vielleicht der Wind. Vielleicht auch nicht.
Etwas weiter ein Pavillon – oder was davon übrig ist. Ein paar Balken, ein Dach mit Lücken, als hätte es sich selbst aufgegeben.
Als ich zum Haus zurückkam, fiel mir sofort auf, dass die Tür einen Spalt offen stand.
Dabei war sie doch eben noch geschlossen, da bin ich mir sicher.
Ich hatte sie nicht angerührt – und trotzdem stand sie jetzt einfach so offen da.
Ein seltsames Gefühl machte sich in mir breit, das ich nicht ganz greifen konnte.
Ich trat auf die Veranda. Die Dielen knarrten unter meinen Füßen wie alte Knochen.
Die Tür quietschte beim Öffnen, ein schmaler, klagender Ton, der viel zu gut zur Stimmung passte.
Drinnen roch es nach Holz – alt, trocken – und nach einem Hauch von Feuer, wie kalte Asche aus einem längst vergangenen Winter. Kein Gestank, aber schwer, dicht. Voller Geschichte.
Das Haus ist alt. Sehr alt. Und trotzdem – in einem seltsamen, fast liebevollen Zustand.
Staub bedeckt jede Oberfläche, Spinnweben hängen in Ecken, aber nichts wirkt verfallen. Es ist, als hätte es nur geschlafen.
Ich habe mich umgesehen. Viel kann ich noch nicht betreten. Viele Türen sind verschlossen – alt, schwer, manche ohne sichtbares Schloss. Und manchmal, wenn ich still stehe, meine ich, etwas zu hören.
Schritte. Hinter einer dieser Türen. Nicht laut. Nicht bedrohlich.
Einfach nur… da.
Begehbar sind die Küche, das Wohnzimmer, ein Esszimmer und ein kleines Bad im Erdgeschoss.
In der Küche habe ich etwas gefunden, das wie Strom wirkt – ein Lichtschalter funktioniert, die Steckdose summt leicht. Irgendwo muss ein Anschluss sein, vielleicht ein Generator, vielleicht doch ein Anschluss ans Netz. Ich weiß es nicht. Noch nicht.
Ich habe meine Sachen hereingeholt. Nur das Nötigste.
Die Couch im Wohnzimmer ist alt, durchgesessen, mit Flecken, aber sie trägt mich. Ich habe die groben Staubschichten abgewischt und ein Fenster geöffnet, um frische Luft hereinzulassen. Das reicht fürs Erste. Ich will hier nicht gleich alles auf einmal anpacken.
Ich habe mir schnell etwas zu essen gemacht – Brot, Käse, Tee – und mich dann auf die Couch gelegt.
Es ist spät. Mein Körper ist erschöpft, mein Kopf voller Stimmen, Erinnerungen, Fragen.
Draußen dämmert es. Der Himmel brennt in einem Sonnenuntergang, der nicht von dieser Welt zu sein scheint. Das Licht fällt durch die alten Fenster wie durch dickes Glas, als würde selbst die Zeit hier langsamer vergehen.
Ich weiß nicht, was ich hier gefunden habe.
Aber ich glaube, es hat mich schon erwartet.