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Das Tagebuch: Kapitel 2.2 – Es ist friedlich. Fast schon zu Friedlich…

Dieser Eintrag ist Part 8 von 8 in der Serie Das Tagebuch

03. Mai

Ich bin heute Morgen aufgewacht – oder besser gesagt, ich erinnere mich daran, am 23. April aufgewacht zu sein.
Das war vor zehn Tagen.
Der Tag, an dem alles… anders wurde.

Ich lag in einem Bett, das ich vorher noch nie gesehen hatte.
Neben mir, zusammengerollt auf der Decke, lag die schwarze Katze.
Sie hob den Kopf, streckte sich elegant, blinzelte mich mit zwei verschiedenfarbigen Augen an – einem blauen, einem braunen – und miaute.
Nicht fordernd, eher… begrüßend.

Verwirrt setzte ich mich auf. Die Sonne schien durch die Gardinen, und überall in den Lichtstrahlen tanzten Staubpartikel, langsam und friedlich.
Die Szene wirkte fast zu ruhig, zu schön, um real zu sein.

Ich murmelte ein schläfriges „Guten Morgen“ und streichelte die Katze vorsichtig.
Sie schob ihre Pfote über den Nachttisch und zog ein kleines Stück Papier zu mir herüber.

Darauf standen Worte, in krakeliger, aber warmer Handschrift:

„Hallo mein Freund.
Die Katze heißt Nala, der Wolf heißt Sol.
Kümmer dich gut um sie – sie ist weise.
Und er wird dich beschützen.
Ich werde bald zu dir zurückkommen.“

Ich wusste nicht, was ich denken sollte.
Träume ich das alles noch?
War ich im Fieberwahn?
Aber diese Notiz – sie war echt. Greifbar.

Ich nahm Nala sanft auf den Arm, ging in die Küche und machte mir einen Kaffee.
Das Haus… es war wieder alt. So, wie ich es kannte. Verstaubt, knarrend, und in meiner Welt.
Oder?

Mit dem dampfenden Becher in der Hand trat ich ans Fenster – und da stand er.
Sol.
Der Wolf.

Groß, grau, mit durchdringenden Augen.
Er sah mich an. Bewegte sich nicht.

Nala miaute plötzlich laut und kratzte an der Haustür.
Ich öffnete sie, und sie lief hinaus – direkt zu Sol.
Die beiden standen sich gegenüber, und es wirkte, als unterhielten sie sich.
Keine Laute, keine Gesten – aber etwas passierte zwischen ihnen.

Kurze Zeit später verschwand Nala im Wald.
Sol hingegen kam langsam auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen.
Zwei Meter Abstand. Kein Laut.
Wir sahen uns in die Augen.
Minutenlang. Vielleicht länger.

Ich fragte ihn schließlich, halb im Scherz, ob er etwas zu essen wolle.
Er legte den Kopf leicht schief. Ich drehte mich um, ging zurück in die Küche – die Tür ließ ich offen.
Er folgte mir.
Ganz ruhig.

In der Küche stellte er sich neben mich, warf einen Blick in den offenen Kühlschrank.
Nur eine Packung Wurst war noch da.
Ich zeigte drauf.
Er stupste mich an.

„Na gut“, murmelte ich. „Dann bekommst du mein letztes Essen.“
Ich stellte ihm eine Schüssel Wasser und die Wurst hin.
Er fraß nicht gierig – eher dankbar.
So eigenartig er wirkte, so gefährlich seine Erscheinung war – ich fühlte mich nicht bedroht.
Eher begleitet.

In dem Moment erinnerte ich mich an die schwarze Mappe, die mir bei der Testamentseröffnung übergeben worden war.
Darin – unscheinbar – eine Bankkarte ohne Logo, nur mit meinem Namen.
Der Anwalt hatte gesagt: „Sie müssen sich um Geld keine Sorgen machen. Halten Sie sich einfach an die Bedingungen.“

Ich hatte die Karte fast vergessen.
Aber sie funktionierte.
Ich fuhr in den nächsten Ort, kaufte Futter für Nala und Sol – und ein paar Vorräte für mich.
Alles wurde bezahlt, ohne Limit.

Die nächsten Tage verliefen ruhig.
Ich begann, mich einzuleben.
Der Garten hinter dem Haus war wild verwachsen, aber darunter lag etwas… Geordnetes.
Ich rodete die Beete, pflanzte Kräuter, Gemüse, sogar ein paar Blumen.

Und dann wurde es seltsam.
Schon am nächsten Morgen waren die Pflanzen deutlich gewachsen.
Am dritten Tag blühten sie.
Am fünften konnte ich ernten.

Es war unmöglich.
Aber es passierte.

Auch die Tiere kamen.
Nicht nur Nala und Sol, sondern Vögel, Eichhörnchen, Waschbären, Füchse.
Ich begann, Futter auszustellen.
Es war, als ob dieser Ort… lebte.
Und als ob er mich akzeptierte.

Doch ich wollte verstehen, wie all das funktionierte.
Ich öffnete eine Steckdose. Keine Kabel.
Die Lampen leuchteten, obwohl sie an nichts angeschlossen waren.
Kein Strom, kein Wasseranschluss.
Und doch funktionierte alles.

Es war friedlich.
Fast zu friedlich.

Bis zur Nacht des elften Tages.

Nala und Sol waren unruhig.
Den ganzen Tag über war kein Tier gekommen.
Der Himmel färbte sich anders.
Die Luft war still.
Zu still.

Als die Sonne unterging, veränderte sich alles.

Die Monde stiegen auf.
Drei.
Fahl, groß, fremd.

Die Schreie begannen.
Diese Augen in der Dunkelheit.
Rot. Glühend.
Sie liefen um das Grundstück, kamen nie näher, aber sie waren da.

Und das Haus… veränderte sich.
Nicht seine Form, nicht die Architektur –
aber die Substanz.

Die Wände sahen plötzlich aus, als wären sie gerade erst gestrichen worden.
Kein Staub, kein Alter.
Der Boden glänzte.
Die Luft roch nach frischem Holz, nach Harz und etwas, das ich nicht benennen konnte.
Wie… Licht.

Es war, als würde das Haus sich in seiner besten Version zeigen.
Jung. Kraftvoll.
Beschützend.

Ich stand am Fenster – und hörte sie.

Die Stimme des Mädchens.

„Bleib im Haus! Es ist noch nicht deine Zeit!
Wir beschützen dich – öffne die Tür nicht, egal was du siehst!“

Meine Hand begann zu brennen.
Der Biss.
Er pulsierte, leuchtete beinahe unter der Haut.
Ich zitterte, bekam Schweißausbrüche.
Meine Sicht verschwamm.

Ich taumelte ans Fenster.
Draußen stand ein Mann in einer Rüstung –
und das Mädchen, mit ihrem Stab.

Aus der Spitze loderten Flammen.
Sie war bereit, zu kämpfen.
Für mich?

Ich wollte rufen. Fragen. Verstehen.

Aber da brach ich zusammen.
Und die Nacht verschluckte mich.
Und die Nacht verschluckte mich.

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